TO ROW THE IRISH SEA
»It’s not about racing, it is about rowing the Irish Sea.«

notiert von Gunnar Krüger (RVB von 1878 e.V.)

Der fast 80jährige, der vor mir steht, sich an seinem halb leeren Bierglas festhält und vor Rührung wässrige Augen hat, ist schwer zu verstehen. Überhaupt nimmt die Feier gerade erst richtig ihren Lauf. Das Bedürfnis, sich an etwas festzuhalten, nimmt jedenfalls zu. Aber so ist das eben hier, im walisischen Küstenort Aberystwyth, Ende April 2017.

Spenden sammeln auf die harte Tour

Wer hier vor mir steht ist kein Geringerer als der Gründer des Celtic Challenge, eines Ruderrennens vom irischen Arklow nach Aberystwyth in Wales. Er erzählt mir die Geschichte des Rennens, das ich noch tief in den Knochen sitzen habe. Wie das damals war, Ende der Achtziger, als das ortsansässige Krankenhaus eine neue Maschine gebraucht hatte. Und kein Geld da war. Und dass er dann diese Idee hatte. Geld zu sammeln mit einem Ruderrennen. Zehn Verrückte bekam er damals zusammen und ein Begleitboot der Meeresbiologischen Fakultät der hiesigen Uni gegen das Versprechen, jede Stunde eine Wasserprobe zu nehmen. Und wie sie dann hinausgefahren waren auf dieses Biest namens Irische See und schließlich ankamen, hier in »Aber«, wie die Locals ihre Heimatstadt bündig nennen. 81 Seemeilen, offiziell um die 150 Kilometer. Ich höre zu und halte mich meinerseits an einem meiner ungezählten Biere dieses Abends fest, dass mir Klaus Winter gerade in die Hand gedrückt hat. Wir sind auf der Abschlussparty des Rennens. Haben Medaillen um den Hals baumeln und werden als Exoten aus Berlin durch die Kneipe von Mannschaft zu Mannschaft gereicht. Dieses Schwanken, das ich spüre, woher kommt es? Ist das immer noch der Nachhall von dort draußen auf See? Das Stampfen und Schlingern des Ruderbootes bei Nacht, wenn du fast von der Ruderbank fällst, weil dich wieder eine dieser Zweimeter-Wellen erwischt hat? Das Gewackel unseres Begleitbootes, der Lady Gail II?

Die Lady Gail II - unser Schicksal

Zwei Tage zuvor in Irland. Wir erreichen den Hafen von Arklow mit dem Bus von Dublin. Ein früher Bus, vielleicht der frühste, der an diesem Tag geht. Arnold Schulze, Hauptorganisator dieser Tour, ist auch hier treibende Kraft. Männer, wir müssen früh da sein, es gibt viel zu organisieren bevor es los geht. Die »Männer« sind eine bunte Mischung aus Berliner Ruderclubs, aus »jung« und »älter«: Ruder Club Tegel: Arnold Schulze, Sascha Damaske, Olli Schwinning, Martin »Ernie« Hildebrandt, Tim Johanns, Tobias Bürger, Ralf Hallmann und Fabian Kliche Richtershorner Ruderclub: Klaus Winter Eilenburger Ruderclub Florian Bellrich Ruderverein Berlin von 1878 e.V. Sascha Niethe Gunnar Krüger. Etwa die Hälfte dieser Mannschaft weiß, was auf sie zukommt. Vor 20 Jahren waren wir schon mal hier in Arklow. Damals wussten wir alle nicht, was es bedeutet, auf dem Meer zu rudern. Und im Grunde sind zwanzig Jahre lang genug, um es auch wieder zu vergessen. Am Hafen sehen wir nach umfänglichem Frühstück in einer Fettbraterei und kurzer Gepäckwanderung unser Begleitboot am Kai vertäut. Die Lady Gail II. Jede startende Mannschaft braucht ein solches Begleitboot. Es rudert ja immer nur ein Mannschaftsdrittel. Die beiden anderen Drittel warten auf dem Boot, erholen sich, wärmen sich auf, essen und trinken, legen sich trocken.

Nun haben wir einen Fischkutter mit viel Platz an Deck und wenig darunter. Ein kurzer Moment des Nachdenkens. Ausreichend für uns? Und, was soll die Frage? Es wird kein anderes Schiff geben, das ist das, mit dem wir die Überfahrt in Angriff nehmen werden. Bevor wir überhaupt etwas in Angriff nehmen können, muss gebunkert werden: Essen von Aldi um die Ecke, unsere Klamotten, von denen jeder einen Schrankkoffer voll dabei hat, und das ganze Kleinzeugs (Ersatzriemen, Walkie Talkies, Batterien so in der Art). Und es muss getestet werden. Das Boot - es heißt bezeichnenderweise »Black Pearl« und würde Johny Depp den Schweiß unter die Piratenkluft getrieben haben - und die drei Mannschaftskonstellationen. Jedes Team muss wenigstens einmal aus dem Hafen rudern und den berüchtigten Wechsel auf das zugehörige »RIB« (Abkürzung für »Rigid Inflatable Boat« also ein Schlauchboot mit festem Boden) üben. Wir sind ja schließlich die einzigen Süßwassermatrosen im Feld. Und wir üben für gewöhnlich auf den nahezu wellenfreien Gewässern auf Ober- und Unterhavel. In Motorboote steigen wir üblicherweise nur, wenn es nicht anders geht. Und wir haben Rollsitze, auch die gelten hier als unsinniger Kram, der nur kaputt gehen wird. Erstaunlicherweise klappt alles recht reibungslos. Das mag aber auch am noch spiegelglatten Meer vor der irischen Küste liegen…

Rowing the Irish Sea

Schließlich geht es los. Angesichts eines immer enger werdenden ruderbaren Wetterfensters starten zunächst die Frauen und Mixed Teams um 13 Uhr, zwei Stunden später dann wir. Was sich noch als schlauer Schachzug herausstellen wird. Insgesamt sind 13 Teams am Start. Als wir ablegen, werfen wir einen letzten, leicht neiderfüllten Blick auf das Begleitschiff einer anderen Mannschaft, das Ähnlichkeit mit der Jacht eines russischen Oligarchen hat. Wir ahnen die mollig freundliche Atmosphäre unter deren Deck, richten indes aber stoisch den Blick nach draußen, denn nun soll es losgehen. Irgendwie hat sich aber in den letzten vier Stunden die Meeresoberfläche in einen eher kabbeligen Zustand begeben. Schon die Hafenausfahrt macht Laune und lässt die Gischt am Bug empor sprühen. Wir fühlen uns wie Ahab und seine Mannen. Das Startteam um Arnold Schulze muss in Strandnähe rudern, denn da geht es los. Wir liegen mit dem Begleitboot eine knappe Meile draußen und sehen unsere Ruderkameraden als kleinen Punkt vor der Küstenlinie. Die Strecke führt zunächst etwas südlich um eine Boje (im Folgenden »die Scheißboje« genannt). Dann geht es leicht nördlich abknickend mit den Strömungs- und Windverhältnissen gen Osten. Strömung und Wind sind entscheidend, besser gesagt, die Beherrschung beider Elemente durch unseren Navigator, den eher schweigsamen Skipper der Lady Gail II. Wir sind gespannt. Dann scheint es loszugehen, die Punkte vor der Küste bewegen sich. Aber warum bewegen sie sich auch so heftig auf und ab? Sie kommen näher und wir sehen das ganze Elend: Es ist eine Art Brandungsrudern, jedenfalls kommt es uns so vor. Das Boot hüpft von Welle zu Welle, kracht in Wellentäler, hüpft wieder empor. Und das ist ja erst der Anfang. Mir kommt in den Sinn, was einer der walisischen Ruderer vor dem Start zu mir sagte: Die ersten zehn Meilen werden die schlimmsten, dann wird es vielleicht besser. Na Prost. Immerhin: wir halten gut mit den anderen mit. Aber der Spirit ist ja schließlich nicht das Racing sondern das Rowing an sich. Wir wechseln das erste mal, Klaus, Florian, Sascha Niethe und ich sind dran. Schon im RIB sind wir klatschnass, gleich die erste Welle schlägt uns voll in die Kiste. Nun denn, denke ich und finde mich nach wabbeliger Transferfahrt auf meinem Ruderplatz wieder. Klaus nimmt von Anfang an auch verbal Fahrt auf. Los Männer! Die ham wir! Die kriegen wir! Ich seh sie! Wo ist die Scheißboje???


Mir wird angesichts des Gehüpfes etwas blümerant, aber ich muss trotz Anstrengung und aufkeimender Übelkeit sehr lachen. Und schließlich kommt sie, die Scheißboje. Das Gekabbel und Gehüpfe sollten jetzt besser werden, wir nehmen Nordkurs. Und wechseln zurück aufs Boot. An Deck der Lady Gail II umziehen, irgendwie wieder trockenlegen, hinsetzen, wo Platz ist und etwas trinken und futtern. So ganz wohl ist mir nicht mehr, ich operiere gegen die allgegenwärtige Seekrankheit mit Ingwerkapseln, die meisten anderen mit Reisepflastern hinterm Ohr. Unser Kurs aber ist bestens, es stellt sich heraus, dass unser Skipper ein echtes »As« ist. Er korrigiert permanent entsprechend der Strömungen und gibt Anweisungen zum Steuermann auf dem Ruderboot. Wir liegen an dritter Position im Feld, was nicht ganz schlecht ist. Die dritte Mannschaft kommt zurück an Bord, das erste Team ist wieder dran. Wir haben den ersten übelkeitbedingten Ausfall zu verzeichnen: »Na, wie war’s?« frage ich. »Kreu.. Kreu… Kreu… zwellen!!!« Und hängt über der Ree-ling, opfert Poseidon, zieht sich in die Gemächer zurück für die kommenden 20 Stunden.

Die Nacht

Schließlich wird es Routine. Wechsel, RIB fahren, Rudern. Wir kommen gut voran, einmal sogar 11 Kilometer in einer Stunde. Ralph, unser Steuermann, muss nach fünf Stunden dringend mal in die Wärme, wechselt mit Olli. Und wir liegen immer noch gut. Vor uns tauchen die ersten Teams der Frauen und Mixed Boote auf. Das Land sehen wir schon lange nicht mehr. Dann bricht langsam die Dunkelheit herein. Davor haben alle zusätzlichen Respekt. Zunächst ist es vor allem das Wechseln, das nicht mehr ganz reibungsfrei klappt. Wir bitten den Skipper, komplett zu stoppen, wenn das RIB an der Lady Gail II an- und ablegt, dann geht es besser. Und das Rudern bei Nacht auf See? Es war wohl das schönste, das ich lange gemacht habe. Draußen, alles ist dunkel, im Boot etwas Beleuchtung und die Geräusche der anderen, das Heben und Senken der Wellen und entfernt die Lichter von Schiffen und das Leuchten von Dublin, das bis hier draußen zu sehen ist. Bevor es dann zu romantisch wird: Klaus sieht wieder mal eine Scheißboje, die wir doch eigentlich schon hinter uns hatten. Nein Klaus, das muss was anderes sein. Nein, das ist die Scheiß-Boje. Wir wissen nicht, welche von den Scheißbojen gerade gemeint ist, wir können jedenfalls herzlich über jede Boje lachen, an der wir vorbeikommen. Die Erschöpfung nimmt zu. Dass dies hier ein außergewöhnliches Rennen sein würde, war uns klar und fit sind eigentlich alle. Gerade die »Jungschen« bringen ordentlich Energie mit. Dennoch: zwei weitere Teammitglieder leiden unter Seekrankheit, können nur noch bedingt rudern und brauchen längere Pausen. Unser ursprünglich geplanter Rhythmus passt nicht mehr. Wir rudern jetzt 90 Minuten und haben dann 90 Minuten Pause. Geplant war: eine Stunde rudern, zwei Stunden Pause. Und wir hatten je Ruderer mit fünf bis sechs Einsätzen gerechnet. Es ist jetzt schon klar, dass das nicht mehr klappen wird. Eher acht bis zehn mal werden wir jeweils rudern müssen. Dann, kurz nach Mitternacht und etwas über die Hälfte der Strecke, wechseln wir erneut. Als das RIB im Dunkeln verschwunden ist, stockt plötzlich der Motor der Lady Gail. Der Skipper flucht wie ein Hafenarbeiter. Eine Trosse eines im Meer treibenden Schleppnetzrestes hat sich über die Schraube in den Antriebsstrang gewickelt und diesen blockiert. Nicht reparabel. Zudem wird das Wetter ungemütlicher, der Wind nimmt zu und es regnet heftig. Wir versuchen zunächst unser Ruderboot per Funk wieder zur Lady Gail zurückzubeordern. »Lady Gail an Ruderboot: Kommt zurück, wir haben einen Motorschaden.« »Hallo Lady Gail, ok. Ich sehe drei Lichter, welches seid ihr?« Schließlich tauchen sie aus der Nachtschwärze wieder auf. Es ist klar, dass für uns das Rennen zu Ende ist. Wieder einmal. Wir treiben etwa eine Stunde nach Norden und werden dann von einem der Safety Boote im Feld abgeschleppt. Jetzt erweist sich die Starttaktik als klug, denn das Feld ist in der Nacht so eng zusammengerückt und Hilfe kann zügig kommen. Während wir geschleppt werden, zu müde und apathisch um unserer Enttäuschung Ausdruck zu verleihen, hören wir die Nachrichten aus dem übrigen Feld: RIB gesunken… Arm beim Wechsel gebrochen… Weit nach Norden getrieben, werden jetzt in einen anderen Hafen geschleppt… Es klingt dramatischer, als es letztlich war. Aber es muss wohl eine der anspruchsvolleren Ausgaben des Celtic Challenge gewesen sein. Von 13 Teams kommen letztlich vier rudernd ins Ziel. In »Aber« am Ufer sagte ein Teilnehmer, der bereits elf Mal dabei war: „This was the toughest bitch…“

Back in »Aber«

Neun Stunden geschleppt werden an Bord eines eher kleinen Fischkutters waren sicherlich nicht das Vergnügen, das es hätte sein können. Aber nun gut. Ich werde nicht den Gestank vergessen, den 12 Männer auf fünf qm hinterlassen können. Die Hafeneinfahrt gerät dann doch noch zu einem kleinen Trost. Wir müssen unser Boot in den Hafen rudern, weil für die Lady Gail nicht genug Wasser zum Schleppen im Hafenbecken ist. Und obwohl die anwesenden Zuschauer ja wissen, dass wir nicht die ganze Strecke gerudert sind, werden wir heftig beklatscht und, man höre und staune, mit einer Berlinflagge begrüßt, die heftig geschwenkt wird. Kein ganz schlechtes Gefühl. Zielbier, Quartier, ordentlich futtern gehen, an der Bucht spazieren, ein Bierchen, wieder futtern. Was man so macht, wenn man dann noch einen halben Tag, eine Nacht und noch einen Tag hat, bevor man, richtig, bevor man sich hier wiederfindet, bei der Abschlussfeier, die Medaille und immer wieder anderer Ruderer um den Hals, mit dem 80jährigen im Bierdunst, der wieder und wieder die Geschichten erzählt vom Rudern auf der irischen See, vom Celtic Challenge.



Gunnar Krügers PS:
Ich möchte mich ausdrücklich bei Arnold Schulze vom RCT bedanken, der sich grandios um die Organisation gekümmert hat. Und ein Kompliment an das Team aussprechen: Männer, ihr ward ein tolles Team. Jederzeit wieder